Diese Woche hatte ich wieder zwei ziemlich unangenehme Termine beim Zahnarzt. Darüber konnten mich auch nicht die interessanten Abwechslungen, die mich im Wartezimmer ablenken hätten können, wie zum Beispiel andere Leidensgenossen oder Artikel der Regenbogenpresse, hinweg trösten. So trat ich dann am Dienstag in der Mittagspause tapfer in der Zahnarztpraxis an und blätterte nervös in den Zeitungen. Dieses Mal entdeckte ich auch keinen Zettel, auf dem Wortfetzen eines Gedichtes standen, wie bei meinem letzten Besuch. Als der Zahnarzt dann endlich mit mir fertig war, sah ich im Gesicht aus, wie ein aufgeblasener Luftballon und konnte nur noch unverständliche Laute von mir geben.
Den ersten Menschen, denen ich begegnete, war anzusehen, dass sie zwischen Mitleid und grinsen hin und her schwankten. Ich muß mein Gesicht wohl sehr verzogen haben. Da aber alles betäubt war, hatte ich noch nicht einmal großen Einfluß auf mein Aussehen. Ich schaute auch lieber nicht in den Spiegel. Mir reichte bereits das, was ich fühlte oder besser erst nicht fühlte und dann in Schmerz ausartete. Aber genug des Jammerns. Das Leben ging weiter und ich versuchte so gut es ging, mein Tagespensum zu erfüllen.
Abends stand nun wieder einmal eine Elternversammlung in der Schule an, die lange angekündigt war und zu der möglichst alle Eltern erscheinen sollten. Ich machte mich mit Zahnschmerzen auf den Weg. Die Betäubung war mittlerweile verflogen, nicht aber das dicke Gesicht. Und richtig viel reden konnte ich auch noch nicht. So verdrückte ich mich in eine Ecke als stille Zuhörerin und lauschte den Worten der Stufenkoordinatorin und der Elternsprecherin. Ich staune immer wieder darüber, dass es Menschen gibt, die anscheinend ein unendliches Mitteilungsbedürfnis haben. Und während die meisten Eltern kurze Statements auf die Fragen ablassen oder auch vielleicht gar nichts sagen (wie ich an diesem Tag), können andere Romane erzählen. Sie genießen es anscheinend in dieser Elternrunde im Mittelpunkt zu stehen und ihre gesamten Meinungen zu allen gefragten und nicht gefragten Themen allen anderen Anwesenden kund zu tun.
An jenem Tag war eine Dame aufgestanden und redete nun bereits über 5 Minuten. Am liebsten hätte ich ihr mal meine Meinung zum Thema Selbstdarstellung und Thema verfehlt gesagt, aber ich verzog nur schmerzverzogen mit einem Grummeln im Rachen meinen aufgeblähten Mund. Meine Nachbarin schaute mich mitleidig an. Und als ob sie meine Gedanken erraten hätte, sagte sie der Dame ihre Meinung, die auch die meine war. Na, manchmal gibt es doch tolle Zufälle. Die Dame ließ sich jedoch nicht irritieren und wollte unbedingt noch etwas zum beliebten Thema „Taschengeld auf Klassenfahrten“ los werden. Sie plädierte dafür, dass wir alle den Kindern für die anstehende Fahrt nach Hamburg ordentlich Taschengeld mitgeben sollten. Denn da könnten die Mädchen sicher gut shoppen gehen. „Shoppen“, dachte ich, „ich glaube es hakt“. Ich sah einigen Eltern an, dass sie bereits die Kosten für die Fahrt recht hoch fanden und sich nun noch weitaus höheren Forderungen gegenüber sahen. Keiner traute sich jedoch zu widersprechen, da jeder anscheinend meinte, dass er dann als mittelloser Wicht dastehen werde.
Ich grummelte und brummelte. Und wie durch ein Wunder stand meine Nachbarin auf und sagte: „Shoppen?. Hallo? Geht es noch? Wenn jemand shoppen will, dann soll er das hier in Bonn oder Köln erledigen. Dafür ist doch wohl nicht eine Klassenfahrt nach Hamburg geeignet.“ Ich merkte, wie auf einigen Gesichtern ein freudige Strahlen erschien. Auch ich nickte meiner Nachbarin dankbar zu. Nun war die Dauerrednerin erst einmal ruhig, ließ sich aber als Rednerin für das nächste Thema, zu dem sie einige Anmerkungen machen wollte, gleich wieder vormerken. Nach zwei Stunden war ich froh, dass die Veranstaltung für dieses Halbjahr überstanden war. Zu Hause wagte ich einen Blick in den Spiegel und siehe da, die Schwellung war weg.
Ich wünsche allen Lesern einen schönen Tag (und möglichst ohne Schmerzen).